
Was man tun kann, ist mehr oder weniger nichts. Die Hoffnungslosigkeit der Vertrauensseligen. Die Tatsache, dass man immer etwas anderes schreiben will, als man schreibt. Die Tatsache, dass es Sachen gibt, die wie Taten wirken, dass man nur öffnen kann, was einmal geschlossen war. Die Angst, dass das Falsche das Richtige auslöschen könnte. Die Zeit und wie sie vergeht. Die Aufgaben und wie die Lebenszeit an ihnen schrumpft, etwas anderes aber wächst. Sieben Jahre und länger. So lange bis es kein Zurückkehren mehr gibt, weil nichts mehr da ist, wohin sich zurückkehren ließe.
"Sie sah während der Sprache vor sich hin" (
Konstantin Ames)
Was passiert in diesem Blick der nicht mich meint, der nichts meint, der der Sprache zuwider läuft, in eine andere Sprache der Bilder hinein. Eine Sprache in der jede Frage mit einem Ausrufungszeichen endet. In der sämtliche Finger, sich in sämtliche Wunden legen, in der es keine Lüge gibt und kein Heil. Nur ein Jenseits der Sprache. Voller Sinn.
Ein verkratzter Hintergrund vor dem wir langsam Gestalt annehmen. Immer wenn wir die Geschwindigkeit verringern, glaubt man uns zu erkennen. wir aber werden deutlich, zerkratzen eure Erkenntnisse mit Stimmen, die sich vermischen, überlagern, zerbrechen, und spiegeln uns in den Scherben.
Dann war er fort. Der Mann mit den traurigen, schräggestellten Augen. Ich hatte nur einen Moment nicht hingesehen und schon war er verschwunden. Er wäre ohnehin verschwunden, so wie wir alle verschwinden. Ständig immer kleiner werder, immer weniger. Aber eben später. Er wäre ein wenig später verschwunden, und ich hätte ein, zwei Kleinigkeiten mehr gehabt, an die ich mich später erinnern würde. Weil ich so wie es nun einmal gewesen ist, schon vergessen habe, ob das Hemd, das er unter seinem blauen Sakko trug, weiß war, oder nicht. Und überhaupt: das war schließlich eine Traurigkeit, der man nicht jeden Tag begegnet, die er mit sich herumtrug. Eine, die weiß, dass sie notwendig ist, die weiß, dass sie über sich lachen kann. Tanzen und lieben und glücklich sein. Alles, ohne sich zu vergessen, ohne sich untreu zu werden.
So eine Traurigkeit war das.
Ich verliere mein Gesicht, meine Vergangenheit. Das Alter zeichnet mein Gesicht nicht, es löscht die Züge aus. Alles verschwimmt. Es gibt mich nicht mehr. Ich bin die Leere. Ich bin ein Neubeginn ohne Zukunft, weil ich keine Vergangenheit habe. Meine Krankheit hat einen Namen. Ich nicht.
Es gibt diese Art von Dichte, von Verdichtung. Die Zeichen lesen sich selbst. Etwas, das vor ihr lag, tritt zurück.
Irgendwann wird sie sie betreten, die „erhabene Wüste eines Bodens, der eingewandert ist“. Diesen Boden, von dem die Duras spricht. Und alles von dem die Duras spricht, ist Lüge und wahr. Jegliche Aufrechnung ist beseitigt zugunsten einer rücksichtslosen Aufrichtigkeit. Das sind die Wege, die ins Innere führen. Dort führen sie weit.
Aber kehren wir zurück zu ihr, wie sie dort steht und wartet. Sie hat aufgehört zu zeichnen. Sie betrachtet das Bild und erkennt es. Auch dieses Bild ist sie. Ihre Geschichte.
Gibt es denn keinen Ausweg aus sich heraus? Kein Entkommen?
Sie erkennt, dass sie den Täuschungen anheimgefallen ist. Dass sie nie geglaubt hat, was sie sah, was sie fühlte, nur das was zu sehen erwartet wurde.
Die Tür ist offen. Sie verlässt den Raum. Sie macht sich keine Gedanken über die Papiere, die auf dem Tisch zurückbleiben. Was dort geschrieben steht, diese Geschichte, war nur für sie bestimmt.
Die Möwen schreien. Einige Fischer kehren heim. Mit halbvollen Netzen. Sie grüßt die fremden Männer, setzt sich zu ihnen, bewundert ihren Fang, bedauert mit ihnen, dass es immer schwerer wird zu leben, auszukommen. Bedauert, dass es keine aufrechten Worte des Bedauerns gibt. Keine, die denjenigen, der sie ausspricht, mit Stolz erfüllen könnten.
Kann man stolz sein, auf seine leeren Hände, fragt sie sich. Warum nicht, denkt sie. Das ist der Moment, in dem sie anfängt zu zeichnen.
Sie wählt eine Farbe, zeichnet eine Straße, Häuser am Straßenrand, viele, eng beieinander stehende, identische Häuser. Sie folgt dem Stift. Sie hat keinen Willen, zeichnet, was ihre Hände ihr diktieren.
Sie fühlt sich frei. Solange ihre Hand sich bewegt, ist alles gut. Sie vergisst. Es gibt kein Gestern und kein Morgen. Kein Bild. Nur den Moment, der sie zeichnet, den sie zeichnet.
Sie wartet also auf nichts mehr. Der Regen hat sich verzogen. Der Wind lässt nach. Sie malt Bilder in den Sand, sammelt Muscheln, geht, ohne ein Ziel zu verfolgen. Sobald die Sonne durch die Wolken bricht, versucht sie ihrem Schatten zu folgen und lacht. Ihr Lachen öffnet eine Tür.
Sie betritt einen Raum. Der Raum ist nur schwach beleuchtet. Groß und fast leer, bis auf einen Tisch in der Mitte, zwei Stühle, eine Lampe. Auf dem Tisch ist Papier ausgebreitet wie eine Decke. Sie tritt näher, nimmt ein Blatt in die Hand. Sie erkennt sich. Ihre Geschichte. Beginnt zu lesen, zu verwerfen, weint. Eine Tür schließt sich. Man hört das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss dreht.
Später wird sie versuchen zu zeichnen. Die Worte miteinander zu verbinden, zu streichen, helle und dunkle Flächen entstehen zu lassen. Dann wird die Tür sich wieder öffnen. Aber noch ist es nicht so weit. Noch liest sie.
Es ist still. Nur das Meer ist zu hören. Das Meer singt. Sie erinnert sich. Sie beginnt sich zu erinnern. Das Papier in ihrer Hand fällt zu Boden. Sie zittert. Dann lehnt sie sich zurück, schließt die Augen und beginnt eine Melodie zu summen. Es ist eine sehr alte Melodie. Sie erinnert sich. Da sind Bilder, die nichts zu tun haben mit den Worten, die sie soeben gelesen hat. Dort auf den Papieren. Auf dem Tisch.
Die Zeit geht durch sie hindurch. Sie ist durchsichtig geworden für die Zeit. Durchlässig.
Es war Winter. Sie wartete auf nichts mehr (wie man im Winter nichts mehr erwarten kann, in einem bestimmten Winter, der jederzeit über das Leben hereinbrechen kann). Stellen Sie sich also vor, wie sie dort steht, in einem schwarzen Kleid, den Kragen ihres Mantels hochgeschlagen, den Kopf eingezogen, wegen des scharfen Windes. Ihre Augen sind blaugrau, aber stumpf, genau wie das Meer über dem der schneeverhangene Himmel steht, jeden Moment bereit sich zu entladen.
Was tut sie dort, wenn sie nicht wartet? Vielleicht erinnert sie sich an eine Zeit, zu der sie sich immerzu nach diesem Morgen sehnte. Und nun ist dieses Morgen da. Sie wartet nicht mehr.
Der Sommer ist eine Lieblingsfrucht der Zeit. Aufgeweckt. Saftig und satt. Farbenfroh. Die Zeit ist eine Liebhaberin der Adjektive, weil sie die Macht hat, sie zu verändern. Veränderung und Stillstand. Und die Zeit, die über all das hinweg geht.